Private Markets haben in den letzten 50 Jahren kontinuierliche Innovationszyklen erlebt – vom Personal Computing über die Mobiltechnologie-Revolution bis hin zum Cloud Computing. Jeder dieser Innovationszyklen hat marktprägende Unternehmen hervorgebracht, die einen nachhaltigen Wert für die Endnutzer geschaffen und den Investoren hohe Renditen beschert haben.
Künstliche Intelligenz (KI) ist die neueste transformative Technologie, die sich auf alle Lebensbereiche auswirkt und das Potenzial hat, das Wachstum in einer Vielzahl von Branchen anzukurbeln. Im Folgenden untersuchen wir aktuelle KI-Investitionsmöglichkeiten für Private Equity und Venture Capital sowie die potenziellen Auswirkungen dieser Technologie auf etablierte Unternehmen.
KI: Die nächste Innovationswelle
KI ist eine Technologie, die es Computern oder Maschinen ermöglicht, komplexe Aufgaben auszuführen, die normalerweise von Menschen ausgeführt werden, wie etwa logisches Denken, Entscheidungsfindung und Kreativität. Die Anfänge der KI reichen zwar Jahrzehnte zurück, doch erst mit der Einführung von ChatGPT Ende 2022 gelang ihr der Durchbruch in den Mainstream. Dies markierte die Einführung der generativen KI (GenAI) für die breite Öffentlichkeit und stellt einen bedeutenden Sprung gegenüber traditionellen KI-Anwendungen dar. Es ist diese neue Komponente – die kreative Komponente, die generativen Fähigkeiten – die heute die Welt fasziniert. Wir stehen erst am Anfang dieser nächsten Innovationswelle, aber schon jetzt ist klar, dass die Marktchancen enorm sind. Dies führt zu einer tiefgreifenden, vielfältigen und sich schnell entwickelnden Investitionslandschaft.
Ein Blick auf das investierbare KI-Universum
Die Begeisterung für GenAI hat zu unglaublichen Innovationen und einem rasanten Marktwachstum geführt. Der Wert der weltweiten PE/VC-finanzierten Investitionen in künstliche Intelligenz stieg 2024 um fast 200 Prozent und belief sich auf 56 Milliarden US-Dollar bei 885 Transaktionen.[1] Auch die längerfristigen Aussichten für diese Technologie scheinen günstig. Es wird erwartet, dass der gesamte adressierbare Markt für KI bis 2027 eine Billion US-Dollar erreichen und in den nächsten drei Jahren mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von bis zu 55 Prozent wachsen wird.[2]
Ein Tech-Stack bezeichnet dabei eine Reihe von Technologien, Frameworks und Infrastrukturkomponenten, die zusammen verwendet werden, um Computersysteme aufzubauen und zu implementieren. Innerhalb des KI-Tech-Stacks gibt es zwei Hauptkategorien, auf die sich die meisten Venture-Manager bisher konzentriert haben: Infrastruktur und Anwendungen.
Die Infrastruktur bildet die Grundlage sämtlicher KI-Anwendungen. Sie umfasst Tools, Modelle, Cloud-Plattformen sowie Rechenleistung und Hardware. Cloud-Plattformen sowie Rechenleistung und Hardware stehen aktuell jedoch nicht im Fokus der meisten Venture-Manager, da diese Bereiche typischerweise von großen, etablierten Technologieunternehmen dominiert werden, die auf grundlegende Computing-Ressourcen spezialisiert sind. Wir werden uns daher auf die darüber liegenden Infrastruktursegmente konzentrieren:
Basismodelle: Vorgefertigte, große Modelle, deren Training enorme Datenmengen und Rechenressourcen erfordert. Man unterscheidet zwischen allgemeinen Modellen, die breit einsetzbar sind, und domänenspezifischen Modellen, die gezielt für bestimmte Branchen entwickelt wurden.
Tools und Enablement: Diese Ebene umfasst die „Spaten und Schaufeln“ des KI-Zeitalters – also all jene Technologien und Dienste, die ein skalierbares KI-Ökosystem ermöglichen. Dazu gehören beispielsweise Anbieter von Daten und Datenlabeling sowie Systeme zur Steuerung von Modellsicherheit und -integrität. Venture-Manager mit tiefer technischer Expertise investieren bevorzugt in diesem Bereich, da hier entscheidende Grundlagen für sichere, leistungsfähige KI-Anwendungen gelegt werden.
Anwendungen: Die Anwendungsschicht umfasst jene KI-Lösungen, die direkt für Endnutzer – sowohl Verbraucher als auch Unternehmen – entwickelt werden. Aufgrund der verbesserten Zugänglichkeit der Modelle und der ausgereiften Infrastruktur ist dies heute ein Schwerpunktbereich für viele General Partner. Innerhalb dieser Ebene wird zwischen zwei Arten von Anwendungen unterschieden:
Vertikale Anwendungen sind auf die spezifischen Anforderungen einzelner Branchen zugeschnitten. Sie nutzen KI-Funktionalitäten, um maßgeschneiderte Lösungen für konkrete Problem zu entwickeln. Da diese Lösungen oft stark spezialisiert sind, treten sie seltener in direkten Wettbewerb mit großen Tech-Konzernen.
Horizontale Anwendungen bieten übergreifende, anpassungsfähige Funktionen, die in verschiedenen Branchen eingesetzt werden können. Sie unterstützen datengestützte Entscheidungsprozesse, automatisieren Routineaufgaben oder verbessern betriebliche Effizienz.
Wie jedes Unternehmen müssen auch KI-Firmen grundlegende Erfolgsfaktoren mitbringen: eine überzeugende Markteinführungsstrategie, gute Corporate Governance und eine starke Führung. Darüber hinaus gibt es drei kritische Voraussetzungen, die speziell für den Erfolg im KI-Sektor entscheidend sind:
Talente: KI-Unternehmen sind auf hochqualifizierte Mitarbeitende mit tiefem technischem Fachwissen angewiesen – Fähigkeiten, die meist durch jahrelange Ausbildung und Erfahrung in führenden Forschungseinrichtungen erworben wurden. Der Talentpool ist begrenzt, und der Wettbewerb um die besten KI-Entwickler und Ingenieure entsprechend intensiv.
Daten: Daten sind das Lebenselixier der Künstlichen Intelligenz. Modelle benötigen große Mengen hochwertiger Trainingsdaten. Darüber hinaus entsteht ein strategischer Vorteil für jene Unternehmen, die über exklusive, proprietäre Datensätze verfügen – sie können damit schwer kopierbare Lösungen entwickeln und langfristige Wettbewerbsvorteile schaffen.
Vertrieb: Ein funktionierender Vertrieb ist essenziell, denn viele etablierte Unternehmen verfügen bereits über starke Distributionskanäle. KI-Unternehmen müssen entweder eigene Wege zum Kunden schaffen, Partnerschaften eingehen oder gezielt in Marktsegmente vordringen, in denen etablierte Player keine dominierende Stellung haben.
Perspektiven für bestehende Portfolios
Viele Investoren beschäftigen sich aktuell mit der Frage, welche Auswirkungen die Revolution rund um generative KI (GenAI) auf bestehende Portfolios hat. Dabei stehen insbesondere zwei Themen im Fokus: Wer ist besser positioniert – etablierte Unternehmen oder Start-ups? Und welche Geschäftsmodelle sind besonders vom Risiko der Verdrängung betroffen?
Startups vs. etablierte Unternehmen
Vor dem Aufkommen von KI galt Cloud Computing als die letzte große technologische Revolution. Damals taten sich viele etablierte Unternehmen schwer mit der Umstellung – der Wechsel von lokalen Systemen in die Cloud erforderte eine tiefgreifende Neuausrichtung von Technologie-Stacks und Geschäftsmodellen.
Im Fall von KI sind große Tech-Konzerne deutlich besser aufgestellt. Anders als bei der Cloud lässt sich KI häufig leichter in bestehende Systeme integrieren. So können etablierte Unternehmen schneller produktseitige Verbesserungen vornehmen und Innovationen vorantreiben. Zudem verfügen sie oft über langjährige Datenhistorien – ein entscheidender Vorteil in einem Bereich, der stark von großen Datenmengen lebt.
Trotzdem haben auch Start-ups gute Chancen, insbesondere in bestimmten Bereichen der KI-Wertschöpfungskette. Während Tech-Giganten bei horizontalen Anwendungen ihre Stärken ausspielen – dank Infrastruktur, Daten und Vertrieb –, sehen viele Venture-Manager das größte Potenzial für Start-ups im Bereich vertikaler Anwendungen. Diese jungen Unternehmen entwickeln spezialisierte, KI-gestützte Lösungen für Branchen wie das Gesundheitswesen, den Finanzsektor oder den Rechtsmarkt.
Auch strategische Partnerschaften zwischen Tech-Konzernen und KI-Start-ups eröffnen neue Möglichkeiten. Beispiele hierfür sind Microsofts Kooperation mit OpenAI oder Amazons Partnerschaft mit Anthropic. Solche Allianzen bieten Start-ups Zugang zu Ressourcen, Rechenkapazität und Vertriebswegen.
Das Risiko der Disruption
Während große etablierte Technologieunternehmen KI aggressiv vorantreiben, gibt es auch andere Unternehmen, die von einer Disruption bedroht sind. Das Risiko für Anbieter von Legacy-Software hängt oft vom Endmarkt, den Arbeitsabläufen und den Anwendungsfällen ab.
Weniger anfällig sind:
1. Anbieter von unternehmenskritischer Software, die tief in Geschäftsprozesse eingebettet ist und sich nicht ohne Weiteres ersetzen lässt.
2. Unternehmen mit umfangreichen, eigenen Kundendaten – sie können schnell effektive KI-Modelle entwickeln und erhalten damit einen Vorsprung.
Stärker gefährdet sind:
1. Dienstleistungs- und Supportunternehmen, etwa Callcenter, deren Geschäftsmodell stark auf Personal und Arbeitszeit beruht.
2. Anbieter, die auf öffentlich zugängliche oder extern generierte Daten setzen – z. B. Analyse-Tools, die keine proprietären Datenquellen nutzen.
Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sich diese Unternehmen an das neue Umfeld anpassen. Einige werden resilienter aus der Transformation hervorgehen – andere könnten durch KI-native Wettbewerber verdrängt werden. General Partners arbeiten aktiv daran, ihre Portfoliounternehmen durch diesen Wandel zu begleiten – mit strategischem Rat und praktischen Erfahrungen aus bisherigen KI-Integrationen.
Die Auswirkungen der KI
Der rasante Aufstieg der Künstlichen Intelligenz hat den weltweiten Energieverbrauch auf ein Rekordniveau getrieben. KI-Algorithmen sind hochgradig rechenintensiv, erfordern spezialisierte Hardware und stellen das Stromnetz vor neue Herausforderungen. Als Reaktion darauf setzen viele der größten Cloud-Service-Anbieter und Betreiber von Rechenzentren auf eine hundertprozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien – etwa aus Solar-, Wind-, Erdgas- oder Kernkraftquellen..[3] Diese Entwicklung hat weitreichende Folgen: Der wachsende Bedarf an Rechenzentrumskapazitäten, kombiniert mit dem Ausbau erneuerbarer Energiequellen und der Modernisierung der Stromnetze, wird voraussichtlich zu einem erheblichen Anstieg des Investitionsbedarfs in digitale Energie und Infrastruktur führen – ein Bereich, in dem Private Markets eine zentrale Rolle spielen können.
Dynamische Märkte mit Perspektive: Langfristiger Mehrwert in einem sich verändernden Umfeld
Der weltweite Wettlauf um die Vorherrschaft in der Künstlichen Intelligenz nimmt weiter an Tempo auf. Kaum ein Tag vergeht ohne neue Durchbrüche, neue Unternehmen oder neue Tools, die unsere Art zu leben, zu arbeiten und zu kommunizieren verändern. Das Innovationstempo ist hoch. Im vergangenen Jahr wurden Fortschritte bei agentenbasierten Arbeits- und Entscheidungsmodellen erzielt, die KI wurde auf Bereiche wie Mathematik, Biologie und Robotik ausgeweitet und DeepSeek wurde veröffentlicht, was sowohl in der KI-Community als auch an den öffentlichen Märkten für Aufsehen sorgte.
Auch wenn bereits heute reale Werte geschaffen und abgeschöpft werden, zeigt die Erfahrung aus früheren Innovationszyklen: Menschen neigen dazu, die kurzfristigen Auswirkungen zu überschätzen – und die langfristigen zu unterschätzen. Deshalb sollte der Fokus auf der langfristigen Wertschöpfung liegen – auf jenem dauerhaften Nutzen, der entsteht, wenn KI bestehende Geschäftsmodelle transformiert und völlig neue Kategorien hervorbringt.
von Martina Schliemann, Principal bei HarbourVest, Frankfurt
Martina Schliemann trat 2021 als Principal in das Unternehmen ein, um die Investor-Relations-Aktivitäten des Unternehmens in Deutschland und Österreich zu leiten. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Pflege der Beziehungen zu Investoren und deren Beratern. Zuvor war sie Principal bei Hamilton Lane, wo sie die Geschäftsentwicklung für institutionelle Investoren und Berater in der DACH-Region leitete und Geschäftsführerin der Hamilton Lane (Germany) GmbH war. Martina hatte außerdem Positionen bei Muzinich & Co Ltd., Deutsche Asset and Wealth Management International, Credit Suisse, Clearstream Banking, Fleming-Fonds Marketing und der Bayerischen Vereinsbank inne.
Quellen:
[2] Bain & Company Report “AI’s Trillion-Dollar Opportunity” (AI’s Trillion-Dollar Opportunity).